Was definiert uns und andere Lebewesen stärker: die Gene oder die Umwelt? Erst kürzlich konnten Forschende experimentell nachweisen, dass über den Samen nicht nur genetische Merkmale, sondern auch Mikroorganismen von einer Pflanzengeneration zur nächsten vererbt werden. Im soeben im Open Access in der Zeitschrift Trends in Microbiology erschienenen Artikel untersuchen Forschende den Prozess der mikrobiellen Vererbung über den Samen genauer und identifizieren Faktoren, die den Aufbau des Mikrobioms der Pflanze maßgeblich beeinflussen. Mit ihrer Grundlagenarbeit schaffen die Autoren einen wichtigen Meilenstein für die Mikrobiomforschung.
Experimentelle Untersuchungen legen nahe, dass Pflanzen mit ihren Samen nicht nur genetische Merkmale vererben, sondern ebenso ein komplexes Mikrobiom aus Pilzen, Bakterien und Archaäen.
„Das Wissen darum, dass mikrobielle Vererbung überhaupt existiert, eröffnet Forschenden weltweit die Möglichkeit, ein ganz neues Verständnis der natürlichen Welt zu entwickeln und unsere Einflussmöglichkeiten darauf zu erweitern. Die Mikrobiome der Pflanze einen großen Einfluss auf deren Gesundheit, Widerstandsfähigkeit, Wachstum und auch Nährstoffaufnahme. Leider wissen wir bisher nur sehr wenig darüber, wie diese Gemeinschaften aus Mikroorgansimen ihren Weg von der Pflanze über den Samen in die nachwachsende Pflanze finden“, sagt Dr. Ahmed Abdelfattah, Arbeitsgruppenleiter für Mikrobiom-Management am Leibniz-Institut für Agrartechnik und Bioökonomie und Erstautor der Publikation. Im Jahr 2021 konnten er und ein Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern die mikrobielle Vererbung über den Samen erstmals experimentell nachweisen.
Deshalb nahm er die mikrobielle Vererbung an Pflanzen zusammen mit Kolleginnen und Kollegen von der Universität Stockholm, der Technischen Universität Graz und der Universität Potsdam genauer unter die Lupe. In ihrem Paper unterteilen sie den Vererbungsprozess in die drei Stadien: Pflanze zu Samen, Samenruhe und Samen zu Keimling und beleuchten dabei die Faktoren, die den Aufbau des Mikrobioms beeinflussen.
In der ersten Phase von Pflanze zu Samen zählen zu den zentralen Einflussfaktoren die Pflanzenart, ihre Umgebungsbedingungen bei der Samenreifung und ihre Fortpflanzungsform. In der zweiten Phase spielen die Art und die Ausgestaltung der Samenruhe eine zentrale Rolle. So verhält sich das Mikrobiom von Samen, die zwischenzeitlich gelagert werden müssen, anders als das Mikrobiom eines Samens, der natürlicherweise ruht, bevor er zu keimen beginnt. Bei der Keimung wiederum müssen die Mikroorganismen ihren Weg in das passende Pflanzengewebe finden, wobei die Übertragungswege aber auch die genetischen Faktoren von Bedeutung sein könnten.
„Wenn wir verstehen, wie genau mikrobielle Vererbung funktioniert und wie wir sie beeinflussen können, entsteht ein enormes Anwendungspotential. Dieses Wissen könnte dazu beitragen, Ökosysteme wiederherzustellen und die Landwirtschaft zu optimieren, in dem wir z.B. nützliche Mikroorganismen mittels Coating auf die Samen übertragen oder bei Lagerbedingungen oder Arbeitsprozessen das Mikrobiom einbeziehen“, fasst Abdelfattah zusammen.
Originalpublikation (Open Access):
Ahmed Abdelfattah, Ayco J. M. Tack, Carolina Lobato, Birgit Wassermann, Gabriele Berg (2022): From seed to seed: the role of microbial inheritance in the assembly of the plant microbiome. Trends of Microbiology (https://doi.org/10.1016/j.tim.2022.10.009)
Kontakt:
Dr. Ahmed Abdelfattah - Leiter der Arbeitsgruppe Mikrobiom Management
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Jessica Lietze - Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
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Das Leibniz-Institut für Agrartechnik und Bioökonomie e.V. (ATB) ist Pionier und Treiber der Bioökonomieforschung. Wir schaffen wissenschaftliche Grundlagen für die Transformation von Agrar-, Lebensmittel-, Industrie- und Energiesystemen in eine umfassende biobasierte Kreislaufwirtschaft. Wir entwickeln und integrieren Technik, Verfahren und Managementstrategien im Sinne konvergierender Technologien, um hochdiverse bioökonomische Produktionssysteme intelligent zu vernetzen und wissensbasiert, adaptiv und weitgehend automatisiert zu steuern. Wir forschen im Dialog mit der Gesellschaft – erkenntnismotiviert und anwendungsinspiriert. www.atb-potsdam.de